Er trinkt lieber Whisky als Gin, fährt seinen Maserati mit Bleifuß, wenn er darf, ist kaffeetrinkender Hundeliebhaber, hat früher Benjamin Blümchen statt TKKG gehört, findet Essen noch spannender als Kochen und ist der klassische Barhocker, der sich bei guter Musik maximal zu einem lässigen Kopfnicken hinreißen lässt. »Ein Mann gehört an den Tresen«, sagt er und muss herzlich lachen, wissend, dass er gerade ein Klischee nach dem anderen bedient. Doch wenn Kevin Fehling eines nicht interessiert, dann ist es die Meinung der anderen. Sicherlich sind ihm seine drei Sterne vom Guide Michelin und auch andere Bewertungen ganz und gar nicht egal, aber im Grunde zieht er sein eigenes Ding durch und macht dabei keinerlei Kompromisse.

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Im »The Table« in der Hamburger Speicherstadt spielt der geschlängelte Chefs Table die Hauptrolle und unterstreicht das Konzept des Miteinanders.

Es ist Mitte Mai und in Hamburg ein wunderschöner Tag. Kevin kommt gerade aus dem »Herr He«, einem authentischen, chinesischen Restaurant in der Nähe des Bahnhofs. »Ich liebe die Dim Sums dort. Die sind göttlich«, schwärmt er und freut sich über diesen lang ersehnten Genuss. Wir treffen uns in seinem »The Table« in der Speicherstadt, und dort herrscht um 14 Uhr bereits reges Treiben in der Küche. Die Köche bereiten gerade den Abendservice vor und es duftet herrlich. »Endlich geht es wieder los. Ständig zu Hause zu sein, ist wirklich nichts für mich. Auch wenn ich die Zeit mit meiner Frau Anna und meinen drei Kindern natürlich genieße, kann das auch zur Zerreißprobe werden. Ich habe die Zwangspause dann einfach mit meinem Team kreativ genutzt und neue Gerichte kreiert. So sind wir nicht aus dem Tritt gekommen und können jetzt voll durchstarten«, erklärt er.

Die neue »Puzzle-Bar« von Kevin Fehling konzentriert sich bei den Drinks auf Erlebnisse im Restaurant. Dennis Ilies, ehemaliger Souschef im »The Table«, hat die Leitung übernommen.

Zeit zum Nachdenken

Durchstarten. So kennt man ihn. Die vergangenen Jahre verbrachte der 42-Jährige immer auf der Überholspur. Eigenes Restaurant mit drei Sternen ohne Investor im Hintergrund, die Entwicklung des Restaurants »The Globe« auf der MS Europa und jetzt noch die Planung und Umsetzung des Barkonzepts in der »Puzzle Bar«. Nach dem Stopp im März raste er also im übertragenen Sinne mit Vollgas gegen eine Wand. Keine Eröffnung der Bar, kein Betrieb in den Restaurants. »Da kommt man ins Nachdenken. Warum muss es immer schneller, höher und weiter gehen? Das kann man doch nicht durchhalten – und das will ich auch gar nicht. Da habe ich mich ernsthaft gefragt, warum ich das eigentlich mit der Bar gemacht habe. Einfach mein Geld in so ein Projekt zu investieren und somit noch ein weiteres Wagnis einzugehen«, resümiert er diese besondere Zeit. »Das wird auch mein letztes Projekt sein, dass ich selbst stemme. Zukünftig möchte ich Konzepte machen, aber nicht mehr das unternehmerische Risiko tragen. Ich bin ausgelastet und das ist auch gut so«, findet der kulinarische Tausendsassa.

Ein Mann mit Prinzipien

Der gebürtige Delmenhorster ist ehrgeizig, klar, sonst wäre er nicht dort, wo er jetzt ist. Aber er ist auch erwachsener geworden und hat seine Ziele deutlicher abgesteckt. Frustriert über diesen Punkt in seinem Leben sei er aber keineswegs. »Natürlich könnte man sagen, dass ich alles erreicht habe und sich fragen, was da noch kommen soll. Aber ich sehe das ganz anders. Mein Restaurant und die Bar müssen auch nachhaltig sein, in Zukunft Bestand haben. Sonst war alles umsonst. Also muss ich immer am Puls der Zeit sein, mich weiterentwickeln und kreativ bleiben. Denn Fakt ist, dass ich bestimmt nicht bis zur Rente in der Küche stehen werde«, erklärt der Gastronom.

Diese Professionalität, Geradlinigkeit und sein Perfektionismus sind nichts Gelerntes. Das ist Kevin Fehling. Denn schon früh hegte er den Wunsch, Hoteldirektor zu sein. Als er während seiner Ausbildung zum Hotelfachmann dann die Küche besuchte, war ihm allerdings schnell klar: »Hier gehöre ich her. Das ist echt und das bin ich. Meine Mama war nicht begeistert, als ich ihr sagte, dass ich das Hotelfach hinschmeiße und Koch werde. Aber sie meinte nur, dass ich, ganz egal was ich mache, es nur richtig machen solle. Und das tat ich.« Aber auch dort verfestigte sich schnell der Gedanke, Chef zu sein. Anderen sagen, was sie tun und lassen sollen liegt ihm in den Genen. »Das wusste ich schon als Teenager, weil ich mir nie gerne was sagen ließ. Nie! Und na klar träumt man als Junge dann von schnellen Autos, teuren Klamotten und Uhren. Ich komme aus der Mittelschicht, da gab es sowas nicht.« Doch Kevin Fehling ist nicht verschwenderisch, im Gegenteil. Erst kommt die Arbeit und dann das Vergnügen, bringt es wohl auf den Punkt. Er wirtschaftet nachhaltig, hat die Zahlen im Griff und kann daher ein gesundes Sternerestaurant betreiben. Das gelingt nicht vielen auf diesem Niveau.  

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Sein Weg war vorbestimmt

Dass er es mal zu etwas bringen wird, war seinen Wegbegleitern schon früh klar. »Ein Klassenkamerad aus Delmenhorst hat wohl zu seinem Vater gesagt, dass aus mir mal ein ganz Großer wird. Das erzählte er mir vor ein paar Jahren nebenbei. Das fand ich total merkwürdig, dass andere mehr in mir sahen als ich selbst. Und ich war ja schon ehrgeizig«, sagt er. Und das setzte sich fort. Mentoren wie Wahabi Nouri und Harald Wohlfahrt förderten ihn. »Wahabi hat damals einfach zu mir gesagt, dass ich jetzt zu Harald Wohlfahrt gehe. Er könne mir nichts mehr beibringen. Ich solle da jetzt anrufen und meine Bewerbung hinschicken. Es sei alles schon geklärt. Da war ich baff und zierte mich auch ein wenig, denn dafür fühlte ich mich überhaupt nicht bereit. Aber offensichtlich war ich soweit. So ging das immer weiter. Ich war nirgends länger als ein Jahr«, erinnert der Sternekoch sich an diese lehrreiche Zeit.

Im »La Belle Epoque« in Travemünde begann dann eine besonders intensive Phase in seinem Leben. 2005 erhielt Kevin Fehling dort mit 27 Jahren seine erste Stelle als Küchenchef. »Ich habe immer gesagt: Ich werde 100 Jahre alt und erkoche einen Michelin-Stern. Das mit dem Stern habe ich jetzt erstmal nicht nur erfüllt, sondern übertroffen. Mal sehen, was mit dem Alter ist«, scherzt er. Mit 30 Jahren hatte er die erste Hürde genommen. Der Michelin verlieh ihm und seinem Team für die Leistungen im »La Belle Epoque« einen Stern. »Wir haben damals ein Fax bekommen, dass schon von Küche zu Küche gereicht wurde, und ich konnte darauf kaum noch erkennen, was da stand. Aber Travemünde war zu entziffern und da war die Freude groß. Abends sind wir feiern gegangen, aber vorher ging ich durch einen nahegelegenen Park und habe alles rausgeschrien, gehustet und geweint. Der Druck war einfach so groß.« Als das Restaurant dann zwei Jahre später als Anwärter auf den zweiten Stern gehandelt wurde, brach sein Ehrgeiz voll durch: »Wenn der Michelin glaubt, wir können zwei Sterne, dann kochen wir drei!« Und so kam es. 2011 der zweite und 2013 der dritte Stern.

Zwischen Genie und Wahnsinn

Dass er sich als Koch weiterentwickelt hat, kann man sehen. Aber wie ist es denn als Chef? Für einen Perfektionisten zu arbeiten, kann eine nicht enden wollende Herausforderung sein. »Ich war zwar charakterlich schon immer der, der ich heute bin, und pflege auch ein freundschaftliches Verhältnis zu meinen Mitarbeitern. Aber früher war ich echt cholerisch. Wenn da mal nur die kleinste Sache nicht richtig war, bin ich regelrecht ausgeflippt. Ich hatte mir selbst so einen Druck gemacht mit dem ersten Stern, dass ich völlig im Tunnel war. Das hat sich mittlerweile gelegt«, sagt er und fügt hinzu: »Ein Perfektionist bin ich aber immer noch. Das spiegelt sich auch im Alltag wider. Wenn ich mit meiner großen Tochter Ivy diskutieren muss, warum sie ihr Zimmer aufräumen soll, ist das eine echte Herausforderung für mich«, sagt der dreifache Vater und lacht kopfschüttelnd. Im Restaurant macht er eine Ansage und dann funktioniert das. Kinder sind eben anders als Jungköche, die von dem Meister des Geschmacks etwas lernen möchten.

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Da erübrigt sich dann auch die Frage, wer denn zu Hause den Kochlöffel schwingt. »Ich! Und zwar liebend gern. Ich kann immer nicht verstehen, wenn andere Köche sagen, dass sie zu Hause nicht kochen wollen. Ich freue mich schon jede Woche darauf, Sonntag und Montag für uns etwas Schönes zu machen. Super gerne indisch, auch wenn drei Tage das ganze Haus danach riecht und ich dank einer neuen Kumin-Allergie etwas zaghafter mit meinem Lieblingsgewürz umgehen muss. Das lasse ich mir aber trotzdem nicht nehmen«, macht er deutlich. Und seine Familie dankt. Mit seiner Frau Anna ist er bereits seit knapp zehn Jahren zusammen. »Sie hat damals im Restaurant in Travemünde gearbeitet und ein halbes Jahr nach dem ersten Stern sind wir zusammengekommen. Sie kennt mich also auch noch von meiner schlechten Seite«, gesteht er. Zusammen sind die beiden gewachsen, genießen ihr Leben in vollen Zügen. Sie gehen essen, verreisen viel und machen es sich in ihrem Haus schön. In der Familie Fehling geht es immer um Genuss.

Der absolute Geschmack

Das ist allerdings auch nicht besonders überraschend, wenn man weiß, wie Kevin Fehling seine Rezepte kreiert. Auf zahllosen DIN-A4-Zetteln skizziert er Geschmäcker, die sich erst ganz zum Schluss auf den Weg in die Küche machen. »Meine Gerichte entstehen zuerst im Kopf. Ich mache gedanklich verschiedene Schubladen mit abgespeicherten Geschmäckern auf und lege sie zusammen auf ein Blatt Papier. Da macht es vor allem Spaß, Gerichte wie Grünkohl mit Pinkel zu dekonstruieren und den Geschmack für die Sterneküche neu zusammenzusetzen. Wie ich allerdings ein klassisches Club Sandwich auf den Teller bringen kann, will mir seit sechs oder sieben Jahren einfach nicht einfallen. Ich könnte natürlich ein perfektes Sandwich bauen, aber es geht ja um was Einzigartiges. Und das ist mir damit bislang noch nicht gelungen«, verrät er.

Intoleranzen, Allergien & Co.

Heutzutage kann es eine echte Herausforderung sein, die Gäste zufriedenzustellen. Der eine isst kein Fleisch, der andere ernährt sich Low Carb, der nächste verträgt keine Laktose und so geht das immer weiter. Zum Thema Essgewohnheiten, Intoleranzen und Allergien hat Kevin Fehling allerdings eine klare Haltung. »Ich koche nicht vegetarisch und schon gar nicht vegan. Für mich ist ein Gericht nur dann vollkommen, wenn ich alle Geschmäcker zur Verfügung habe. Durch Fleisch und Fisch bekommen Saucen die nötige Tiefe und sind auch als Hauptzutat durch nichts zu ersetzen«, findet er. Da sind sie wieder, der absolute Geschmack und die Kompromisslosigkeit, die Kevin Fehling zu demjenigen macht, der er heute ist und irgendwie schon immer war. Der Whiskytrinker mit Bleifuß, der frische Dim Sums und indisches Essen vergöttert und niemals eine Dancing Queen werden wird, sondern sich seine Zeit lieber mit dem Kreieren von Gerichten vertreibt. Zettel für Zettel, für Zettel, für Zettel. Und vielleicht ist auch bald endlich das perfekte Club Sandwich dabei.

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© Fotos: René Riis